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Berliner Morgenpost: Ypsilanti ist der Klotz am Bein der SPD - Kommentar

Berlin (ots) -

Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen,
wie gebannt Kanzlerkandidat Steinmeier, SPD-Chef Müntefering und 
Krisengewinner Steinbrück nach Wiesbaden schauen. Dort wird 
maßgeblich über ihre Zukunft entschieden - per hessischem Roulette. 
Und das geht so: Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti feuert 
siegesgewiss einen Schuss auf den CDU-Ministerpräsidenten Koch ab. 
Doch womöglich kehrt die Kugel stracks zurück und erledigt die 
Kandidatin selbst. So kann es am Dienstag geschehen, wenn der 
wackelige Dreibund aus SPD, Grünen und Linken nicht geschlossen für 
Frau Ypsilanti stimmt.
Sieger wäre nicht nur Roland Koch, sondern auch die neu besetzte 
Zentrale der Berliner Sozialdemokraten.
Andrea Ypsilanti hat mit der US-Republikanerin Sarah Palin nicht nur 
die randlose Brille gemeinsam: Sie ist jung und unbefangen, sie ist 
Frau, telegen - und sie ist ein Klotz am Bein der SPD. Mag sie auch 
patent erscheinen - ihre Machtschläue reicht nicht für die erste 
Liga. Es gehört zu den Paradoxien der Politik, dass Ypsilantis 
Niederlage einen doppelten Gewinn für die Bundes-SPD bedeuten würde: 
Erstens wäre das rot-rot-grüne Gespenst zumindest bis zur Kanzlerwahl
eingesperrt. Und damit ein hässliches Thema, das die Union ein Jahr 
lang gespielt hätte, erst mal vom Tisch. Klappt ja eh nicht, könnte 
die Troika nach einer Ypsilanti-Schlappe gelassen erklären. Und 
zweitens bliebe Roland Koch in Hessen. Ein angeschlagener 
Ministerpräsident in Wiesbaden ist der SPD allemal lieber als ein 
rauflustiger Wirtschaftsminister in Berlin. Denn Koch bedient gleich 
zwei Wählergruppen, die die Kanzlerin vernachlässigt: die 
Wertkonservativen im Land, die sich der CDU verweigern, und den 
lahmenden Wirtschaftsflügel. Ein Minister Koch würde der nur mäßig 
charismatischen Unions-Truppe allemal aufhelfen.
Es ist den Grünen zu danken, dass sie gestern beschlossen haben, das 
hessische Roulette nur eine Runde lang mitzuspielen. Das Trauma von 
Kiel wirkt nach. Damals, im Frühjahr 2005, diskreditierten die 
Parlamentarier nicht nur sich selbst und ihre Chefin Heide Simonis, 
sondern beschleunigten auch den rapiden Machtverfall der SPD, dem 
Neuwahlen und das Ende der Ära Schröder folgten. Ob wahr oder nicht, 
bis heute hält sich der Mythos, dass der sinistre Parteilinke Stegner
gegen die eigene Reihe gestimmt hatte.
In Hessen ist die Konstellation seitenverkehrt: Hier ist es der 
Reformer Walter, der abweicht. Um nicht in die Stegner-Falle zu 
tappen und für den Rest seines politischen Lebens stigmatisiert zu 
werden, spielt Walter von Anfang an offen und stellt sich klar gegen 
den Koalitionsvertrag. Andrea Ypsilanti war so leichtsinnig, ihren 
ungeliebten Vize nicht einzubinden. Er hat nichts zu verlieren, aber 
alles zu gewinnen - wenn sie scheitert.
Entweder übernimmt Jürgen Walter nach gescheiterter Wahl den 
Trümmerhaufen Hessen-SPD und geht in eine große Koalition, so wie 
damals Stegner. Oder er beginnt eine Karriere in Berlin. Denn von 
Walter hängen maßgeblich die Perspektiven der Bundes-SPD für 2009 ab.
Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, dass Ypsilantis 
parteiinterner Gegenspieler bereits klare Signale aus der Hauptstadt 
empfangen hat.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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